Der störrische Esel und die süße Distel

Jesus ist als unser Heiland in die Welt gekommen, um das Herz des Menschen von seiner Härte und Widerspenstigkeit gegen den Willen und Liebe Gottes zu erlösen. Karl Heinriche Waggerl hat dieses Erlösungsgeheimnis in eine humorvolle Weihnachtsgeschichte gekleidet.

Als der heilige Josef im Traum erfuhr, daß er mit seiner Familie vor der Bosheit des Herodes fliehen müsse, in dieser bösen Stunde weckte der Engel auch den Esel im Stall.

“Steh auf!” sagte er von oben herab. “Du darfst die Jungfrau Maria mit dem Herrn nach Ägypten tragen.”

Dem Esel gefiel das gar nicht. Er war kein sehr frommer Esel, sonder eher ein wenig störrisch im Gemüt.

“Kannst du das nicht selber besorgen?” fragte er verdrossen. “Du hast doch Flügel, und ich muß alles auf meinem Buckel schleppen!” Warum denn gleich nach Ägypten, so himmelweit!”

“Sicher ist sicher!” sagte der Engel, und das war einer von den Sprüchen, die selbst einem Esel einleuchten müssen.

Als er nun aus dem Stall trottete und zu sehen bekam, welch eine Fracht der heilige Josef für ihn zusammengetragen hatte, das Bettzeug für die Wöchnerin und einen Pack Windeln für das Kind, das Kistchen mit dem Gold der Könige und zwei Säcke mit Weihrauch und Myrrhe, einen Laib Käse und eine Stange Rauchfleisch von den Hirten, den Wasserschlauch, und schließlich Maria selbst mit dem Knaben, auch beide wohlgenährt, da fing er gleich wieder an, vor sich hinzumaulen. Es verstand ihn ja niemand außer dem Jesuskind.

“Immer dasselbe”, sagte er, “bei solchen Bettelleuten! Mit nichts sind sie hergekommen, und schon haben sie eine Fuhre für zwei Paar Ochsen beisammen. Ich bin doch kein Heuwagen”, sagte der Esel, und so sah er auch wirklich aus, als ihn Josef am Halfter nahm, es waren kaum noch die Hufe zu sehen.

Der Esel wölbte den Rücken, um die Last zurechtzuschieben, und dann wagte er einen Schritt, vorsichtig, weil er dachte, daß der Turm über ihm zusammenbrechen müsse, sobald er einen Fuß voransetzte.

Aber seltsam, plötzlich fühlte er sich wunderbar leicht auf den Beinen, als ob er selber getragen würde, er tänzelte geradezu über Stock und Stein in der Finsternis.

Nicht lange, und es ärgerte ihn auch das wieder.

“Will man mir einen Spott antun?” brummte er. “Bin ich etwa nicht der einzige Esel in Bethlehem, der vier Gerstensäcke auf einmal tragen kann?”

In seinem Zorn stemmte er plötzlich die Beine in den Sand und ging keinen Schritt mehr von der Stelle.

“Wenn er mich jetzt auch noch schlägt”, dachte der Esel erbittert, “dann hat er seinen ganzen Kram im Graben liegen!”

Allein, Josef schlug ihn nicht. Er griff unter das Bettzeug und suchte nach den Ohren des Esels, um ihn dazwischen zu kraulen.

“Lauf noch ein wenig”, sagte der heilige Josef sanft, “wir rasten bald!”

Daraufhin seufzte der Esel und setzte sich wieder in Trab.

“So einer ist nun ein großer Heiliger”, dachte er, “und weiß nicht einmal, wie man einen Esel antreibt!”

Mittlerweile war es Tag geworden, und die Sonne brannte heiß. Josef fand ein Gesträuch, das dürr und dornig in der Wüste stand, in seinem dürftigen Schatten wollte er Maria ruhen lassen. Er lud ab und schlug Feuer, um eine Suppe zu kochen, der Esel sah es voll Mißtrauen. Er wartete auf sein eigenes Futter, aber nur, damit er es verschmähen konnte.

“Eher fresse ich meinen Schwanz”, murmelte er, “als euer staubiges Heu!”

Es gab jedoch gar kein Heu, nicht einmal ein Maul voll Stroh, der heilige Josef in seiner Sorge um Weib und Kind hatte es rein vergessen. Sofort fiel den Esel ein unbändiger Hunger an. Er ließ seine Eingeweide so laut knurren, daß Josef entsetzt um sich blickte, weil er meinte, ein Löwe säße im Busch.

Inzwischen war auch die Suppe gar geworden, und alle aßen davon, Maria aß, und Josef löffelte den Rest hinunter, und auch das Kind trank an der Brust seiner Mutter, und nur der Esel stand da und hatte kein einziges Hälmchen zu kauen. Es wuchs da überhaupt nichts, nur etliche Disteln im Geröll.

“Gnädiger Herr!” sagte der Esel erbost und richtete eine lange Rede an das Jesuskind, eine Eselrede zwar, aber ausgekocht scharfsinnig und ungemein deutlich in allem, worüber die leidende Kreatur vor Gott zu klagen hat. “I-A! schrie er am Schluß, das heißt: “so wahr ich ein Esel bin!”

Das Kind hörte alles aufmerksam an. Als der Esel fertig war, beugte es sich herab und brach einen Diestelstengel, den bot es ihm an.

“Gut!” sagte er, bis ins Innerste beleidigt. “So fresse ich eben eine Distel!” Aber in deiner Weisheit wirst du voraussehen, was dann geschieht. Die Stacheln werden mir den Bauch zerstechen, so daß ich sterben muß, und dann seht zu, wie ihr nach Ägypten kommt!”

Wütend biß er in das harte Kraut, und sogleich blieb ihm das Maul offen stehen. Denn die Distel schmeckte durchaus nicht, wie er es erwartet hatte, sondern nach süßestem Honigklee, nach würzigstem Gemüse. Niemand kann sich etwas derart Köstliches vorstellen, er wäre denn ein Esel.

Für diesmal vergaß der Graue seinen ganzen Groll. Er legte seine langen Ohren andächtig über sich zusammen, was bei einem Esel so viel bedeutet, wie wenn unsereins die Hände faltet.

Karl Heinrich Waggerl

Herbergssuche einmal anders

In einer kleinen Berggemeinde gehörte die alljährliche Weihnachtsaufführung der Schüler der damals noch einklassigen Volksschule zur festen Dorftradition. Der Wirt des Gasthauses “Leuen” stellte immer seinen Saal zur Verfügung. Der Lehrer Gottlieb Egglmann inszenierte mit seinen 30 Schülern die Weihnachtsgeschichte. Bei der Rollenverteilung war es für den Lehrer nicht schwierig, jemanden für Josef und Maria, die Engel, die Hirten usw. zu finden. Aber die Rolle des Wirtes, der Maria und Josef bei der Herbergssuche unbarmherzig wegjagen sollte, wollte niemand gerne spielen.

So musste schließlich Roberto, der Sohn eines italienischen Gastarbeiterehepaares, welches im Restaurant “Leuen“ seit Jahren in der Küche arbeitete, die Rolle übernehmen. Er musste. Erstens, weil er noch nicht so gut deutsch sprach, und zweitens schien er mit seinem dunklen, gekrausten Haar und den dunklen Augen am ehesten einem Bösewicht zu gleichen. Das war auf alle Fälle die Meinung der halben Klasse.

Der kleine Roberto lernte seine Rolle schnell und gut. Lautstark schmetterte er bei den Proben sein “Nein, von mir bekommt ihr kein Zimmer! Gesindel, verschwindet!“ von der Bühne. Aber: Wie hasste er doch seine Rolle.

Endlich war es soweit, der große Tag stand vor der Tür. Der kleine Saal war zum Bersten voll. Mit leuchtenden Augen standen die Kinder in ihren selbstgemachten Kostümen da. Vor allem Maria strahlte. Mit ihren Zapfenlocken war sie wunderschön anzusehen. Und wie sie spielten! Der Lehrer Egglmann wurde immer größer und stolzer, denn was seine Kinder auf der Bühne boten, war schlicht erstaunlich.
Nun folgte der zweite Akt beim Gastwirt, bei Roberto. Er stand da mit grimmigem Blick und hörte das Klagen Marias. “Ach Wirt, habe Erbarmen, ich friere! Lass mich in dein Haus!” Es war zum Steinerweichen! Roberto schaute immer grimmiger drein und setzte an, um seinen hundertmal geübten Satz in den Saal zu schmettern.

Doch plötzlich verschwand der dunkle Schatten von seinem Gesicht. Ja, es begann förmlich zu leuchten. Und Roberto sagte mit fester Stimme: “Kommt nur herein. Ich gebe euch mein bestes Zimmer. Und zu essen bekommt ihr auch, soviel ihr wollt.” Und er ergriff Maria zart bei der Schulter und wollte sie durch die Kulissentür in das Gasthaus führen. “Spinnst du?“, rief Maria deutlich hörbar.

Peinliche Sekunden vergingen, ehe der Lehrer, der vor Schrecken fast vom Stuhl gefallen war, endlich “Vorhang, Vorhang!’ schrie. Der Vorhang wurde gezogen, die Weihnachtsaufführung war vorzeitig beendet. Aber sie hat viele zum Nachdenken gebracht und man hat im Dorf noch lange darüber geredet.