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Das weiße Band

Jesus ruft uns in der Bergpredigt auf: “Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!” (Lk,6,36f).

Ein Mann erzählt: “Bei einer Bahnfahrt saß ich einmal neben einem Mann, dem sichtlich etwas Schweres auf dem Herzen lastete. Schließlich rückte er dann auch damit heraus, dass er aus seiner Strafe entlassen war und jetzt auf der Fahrt nach Hause sei. Seine Verurteilung hatte Schande über seine Frau und seine Kinder gebracht. Sie hatten ihn nie besucht und auch nur ganz selten geschrieben. Er hoffte aber trotzdem, dass sie ihm verziehen hatten.

Um es ihnen aber leichter zu machen, hatte er ihnen in einem Brief vorgeschlagen, sie sollten ihm ein Zeichen geben, an dem er  wenn der Zug an der kleinen Farm vor der Stadt vorüber fuhr, sofort erkennen könne, wie sie zu ihm stünden. Hatten die Seinen ihm verziehen, so sollten sie in dem Apfelbaum an der Bahnstrecke ein weißes Band anbringen. Wenn sie ihn aber nicht wieder daheim haben wollten, sollten sie gar nichts tun. Dann werde er im Zug bleiben und weiterfahren, weit weg. Gott weiß, wohin.

Als der Zug sich seiner Heimatstadt näherte, wurde seine Spannung so groß, dass er es nicht über sich brachte, selber aus dem Fenster zu schauen. Ein anderer Fahrgast tauschte den Platz mit ihm und versprach, auf den Apfelbaum zu achten. Gleich darauf legte er dem jungen Sträfling die Hand auf den Arm. ‘Da ist er!’, flüsterte er, und Tränen standen ihm plötzlich in den Augen. ‘Alles in Ordnung. Der ganze Baum ist voller weißer Bänder!’ In diesem Augenblick schwand alle Bitternis, die sein Leben vergiftet hatte. ‘Mir war’, sagte der andere Mann später, ‘als hätte ich ein Wunder miterlebt!’ und vielleicht war es auch eines.”